Es-gibt-ein-Leben-vor-dem-Tod


Überraschung!
September 2, 2010, 9:11 am
Filed under: Uncategorized | Schlagwörter: , , ,

Das Klopfen an der Tür kurz vor 10 Uhr ließ Erna F. aus ihrem wohlverdienten Vormittagsschläfchen hochschrecken. Wer um Himmels Willen kommt denn um diese Uhrzeit auf einen Plausch vorbei? Oder war es wieder Frau Schekel, die den Gang verwechselt hatte? Das kam in letzter Zeit recht häufig vor.

Erna F. schloss wieder die Augen und hoffte inständig, dass der Klopfer von Dannen ziehen würde, wenn sie sich einfach ruhig verhielte. Aber weit gefehlt. Wieder klopfte es, diesmal etwas energischer und eine tiefe Stimme brummte: „Frau F. wir haben Post für sie!!!“ „Aha! Die Urlaubsvertretung für die Heimleiterin machte Ihre Postrunde. Warum nur musste ausgerechnet heute bei diesem lauen Sommerlüftchen Post für Erna F. dabei sein?!“

Erna schraubte sich von Ihrem bequemen Sofa, schlüpfte kurzentschlossen in Ihre Schlappen und schlappte schlappend zur Tür. Sie schaute kurz durch den Spion – aus reiner Gewohnheit -, obwohl sie eh ohne Brille nichts sehen konnte, erkannte den ‚Postboten‘ und drehte kurzerhand den Schlüssel und öffnete immer noch widerwillig die Tür.

„Frau F. hier ist ein Brief für sie. Ich hoffe, nur gute Nachrichten!“, nickte der Postbote mit einem mitleidigen Blick auf den Brief. In ihrem Alter konnte Post alles bedeuten aber oft genug leider Schlechtes. Erna F. wendete den Brief mehrmals in der Hand. „Komich“ (Frau F. ist ursprünglich in Bonn gebürtig, deshalb diese Aussprache)! „Kein schwarzer Rand – also keine Todesanzeige. Hmmm, was könnte es sein?“ Nachdenklich schlappte Erna zurück zum Sofa, drehte den Brief abermals zwischen Ihren Fingern ehe sie bemerkte, dass die Tür immer noch sperrangelweit aufstand. Sie pfefferte den nichtssagenden Brief auf den Tisch und schlappte schnellen Schrittes zurück, um die Tür zu schliessen. Auf dem Rückweg kam sie an der kleinen Teeküche vorbei und ihr fiel ein, sie könne sich ja vielleicht erstmal eine Tasse Tee genehmigen. Oder doch einen Likör zur Einstimmung?!

„Man weiß ja nie, was sich hinter unschuldig dreinblickenden Briefumschlägen verbirgt – in meinem Alter“, so dachte Frau F. „Da ist die Einladung zum Elternstammtisch äusserst selten, auch die Liebesbriefe kann man an allen 10 Fingern abzählen (wenn es überhaupt was zu zählen gibt meine Lieben!! WENN!!!!)“ Erna F. goss den Tee auf, schenkte sich einen zweiten Likör nach – hatte sie schon einen getrunken? „Ich werd auch imer bekloppter“, schimpfte Erna F. lautstark mit sich selbst. Irgendwie hatte sie etwas Angst vor dem Brief! Was, wenn er doch eine Todesanzeige enthält? Eigentlich sollte man als alter Mensch ja jederzeit damit rechnen, der letzte Mohikaner der Bekannten und Freunde zu sein, schließlich wedelt Gevatter Tod (oder Nirwana oder oder oder….) schon öfter und näher mit seiner Schlussfahne, zur letzte Runde. Oft genug war Erna F. schon auf Beerdigungen von Leuten, von denene sie dachte, die werden steinalt. Und nun so ein blöder, stumm dreinblickender, nichtssagender, irgendwie unscheinbar und unschuldig wirkender Briefumschlag! „Erna! Jetzt mach aber mal einen Punkt. Es ist bloss ein blöder Brief!“, scholt sich Erna wiederholt. Es war schon komisch. Früher, als sie noch jünger war, hatte sie sich über jeden Brief gefreut. Es war ein Zeichen, dass jemand an sie dachte, sich an sie erinnerte. Heutzutage war ein Brief meist nur das Zeichen dafür, dass sie in irgendjemandes Telefonbuch drinstand (weil man sie zu streichen vergessen hatte?) oder weil man zufällig in der Nachbarschaft wohnte und die Angehörigen pflichtbewußt oder zwangsweise, auf Spenden hoffend oder damit sie einfach nicht allein am Grab des Verblichenen stehen müssen, Einladungen verschicken zu einer Trauerfeier. Schon komisch, wenn man alt wird und damit nicht rechnet.

Erna nahm noch einen Schluck aus dem Likörglas und fasste allen Mut zusammen! Sie nahm den Brief in die Hand und wog ihn bedächtig ab. Schwer schien er nicht zu sein aber aus mehreren Blättern zu bestehen. Hm…sie kramte ihren Brieföffner (ein hölzernes, unförmiges Holzstück – Kindergartenwerkstück Ihres jetzt erwachsenen Enkelsohnes) aus dem Kramkasten und versuchte umständlich, den Brief aufzuschlitzen. Sie friemelte die mehrseitige Zettelwirtschaft aus dem Umschlag und glättete die Seiten, damit sie überhaupt etwas erkennen konnte.

Es waren 3 Seiten weißen Papieres, schwarz und ziemlich eng bedruckt. Ein Bild war auch dabei! Und – oh Schreck – das Bild zeigte eindeutig einen Sarg! Nein! Nicht einen Sarg! Erna ließ vor lauter Schreck den Brief auf den Teppich fallen. Sollte sie sich nun ärgern oder einfach nur den Papierkorb glücklich machen?

Mit klammen Fingern und ärgerlich über ihren eigenen Ärger, versuchte Erna die Brille vom kleinen Sofatischchen zu angeln, damit sie lesen konnte, was das bedeuten solle. Gerade als sie versuchte, sich zu bücken – das ging leider alles nicht so schnell, wie sie wollte -, klopfte es erneut an der Tür. „Eeeeeeerrrrnaaaaa! Du hast Post? Wer ist denn gestorben?“ „Typisch“, dachte Erna F., „gerade wenn es spannend wird, kommt Frau Piepenbrink und stört die Spannung!“ Erna erhob sich mürrisch vom Sofa, schlitterte halb über den auf dem Fussboden liegenden Brief und stolperte zur Tür. Zum Glück hatte sie vor einem halben Jahr einen Judo-Seniorenkurs gemacht. Richtig fallen sollte also keine Problem machen. Donnernd erreichte sie die Tür, öffnete und fiel mit hochrotem Kopf mehr oder weniger Frau Piepenbrink in die Arme. Diese, hilfreich wie immer, fing sie auf und fragte gleich drauf los. „Und? Jetzt sach halt! Wer ist tot?“

Fortsetzung folgt…….